Seit wann gibt es Strom aus der Steckdose

The whole shack shimmies when everybody’s movin’ around and around and around and around!
The B52s, Love Shack

Es gab eine Zeit – und die ist noch gar nicht so lange her – da hatten in Mitteleuropa manche Strom. Und andere nicht. Es war eine Zeit, da kam der Strom eben nicht aus der Steckdose, sondern aus einer fortschrittlichen Haltung heraus, und wer ihn hatte, der zeigte das auch. Die Steckdose und der Lichtschalter wurden gut sichtbar in die Wand gesetzt, und man sah es auch nicht als Beleidigung für das Auge an, wenn die elektrischen Leitungen in Metallrohren über dem Putz geführt wurden. In meiner Wohnung, die in der Zeit vor dem Krieg, den sie den grossen nannte und doch der kleinere bleiben sollte, von sehr modernen, fortschrittlichen Menschen bewohnt wurde, sieht man das heute noch: Die Steckdosen sind in der Bibliothek genau in die Mitte der Wände gesetzt worden.

Seit wann gibt es Strom aus der Steckdose

Und in anderen Teilen des Ensembles – im Hinterhaus nämlich – findet man auch noch Rohrleitungen für Strom. Vier Steckdosen habe ich in meiner Bibliothek, irgendwann in den 70er Jahren wurden die Dosen selbst modernisiert, aber was dahinter ist, will ich lieber nicht so genau wissen. Ab und an fällt bei mir der Strom aus, was nicht weiter schlimm ist. Wie meine Vorfahren verlasse ich mich da auf ein Notsystem aus Kerzen, derer man im Altbau bekanntlich nie genug haben kann. Man nimmt hier solche Vorkommnisse mit stoischer Gelassenheit hin, meistens dauert es nicht lang, bis alles wieder läuft, und für ihr Alter machen die Leitungen weitaus weniger Probleme, als die 1887 eingebauten Rohre für Abwässer. Auch historisch lässt sich belegen, dass die Pioniere neuer Technologien den höchsten Preis für die schlechteste Leistung zahlen – ich sehe die Iphone-Hereingelegten nicken, ja, so ist das.

Nebenbei, Ölgemälde sehen im Kerzenlicht ganz anders als im elektrischen Licht aus. Über einer der Steckdosen – man muss ja nicht alles sehen – hängt ein düsteres Selbstportrait eines Malers des späten 17. Jahrhunderts, das erst zu wirken beginnt, wenn der Rest des Raumes nicht mehr hell im Kronleuchterschein erstrahlt. Ich werde deshalb meinen Kronleuchter nicht auf Kerzen zurückbauen und die Drähte entfernen, aber es sind nicht uninteressante Erfahrungen: Es geht mitunter, teilweise, auch ohne Steckdosen, man verliert etwas und bekommt etwas anderes dafür zurück.

Seit wann gibt es Strom aus der Steckdose

Es gibt, und das lässt sich durch alte Geburtsregister gar nicht so schlecht belegen, die Theorie, dass die Menschen in der Zeit vor der Elektrizität und Heizung einfach das Beste aus ihrer Lage machten. Im Winter gingen sie früh gemeinsam ins Bett, hatten Spass und zeugten als Nebenprodukt Nachwuchs. Der Mensch passt sich einfach den Gegebenheiten an und nimmt mit, was er kriegen kann, und liest man erotische Literatur des 18. Jahrhunderts, sieht es nicht so aus, als hätte man sich trotz der Unerfreulichkeiten und für uns heute unfassbaren Zustände, gerade in der sogenannten kleinen Eiszeit, besonders gegrämt. Man hatte dickere Decken.

Man sieht diese Haltung vielleicht ein wenig an dem oben stehenden Portrait der ausgesprochen neckisch und verführerisch lächelnden jungen Dame. Sie macht dem Betrachter fraglos Avancen, sie ist “sexy”, wenn man so will, und das trotz dem Umstandes, dass es entsetzlich kalt war, als das Bild entstand: Sie trägt einen langen, hochgeschlossenen Mantel, ihre Hände sind in einem Muff verborgen, aber das tut ihrer guten Laune an einem klirrend kalten Wintertag der Zeit um 1760 keinen Abbruch. Man malte Zimmer für den Wintergebrauch warm und golden an, man besorgte sich dicke Vorhänge. Weisse Räume mit grossen, freien Glasfächen dagegen hält man im Winter nur aus, wenn die Heizung läuft, und das Licht aus der Steckdose kommt. Natürlich ist das alles nur Psychologie, aber sie funktioniert im Gegensatz zu meinen Leitungen und Atomkraftwerken immer, ohne Schalter und Pumpen.

Seit wann gibt es Strom aus der Steckdose

Aber sagen Sie das mal den Handwerkern, die sich gerade im Hinterhaus umschauen und überlegen, was dort alles getan werden muss. Der Elektriker ist absolut schockiert von den “primitiven Verhältnissen”, unter denen dort “gehaust” wurde: Nur vier Steckdosen in jedem Raum! Ja du lieber Himmel! Zwei Wände sogar ganz ohne Stromversorgung! Das kann man so nicht lassen, wo kann man denn hier die Wände schlitzen und mit neuen Leitungen entlang gehen, da müssen drei Stecker rein und drüben auch, und dann die Küche erst: Also, das geht ja gar nie nicht, da weiss man ja gar nicht, wo man was anschliessen soll, das, sagt der Elektriker, wird eine Mordsarbeit, mindestens vier, ach was, sechs unten und zwei mal zwei oben, wo die Küchenmaschinen stehen. Das ist heute das Minimum, das nimmt einem sonst keiner, was glauben denn Sie, was die Leute heute für Ansprüche haben, dann schaun wir mal in Bad, ja mi legst om wie hom de do drin leben kenna?

Mit Mehrfachsteckdosen und der Gewöhnung an das, was da ist, könnte man antworten. Und dass der Ausbau von 4 zu 20 Steckdosen noch lange nicht bedeutet, dass man in 30 Jahren nicht schon wieder neue Anschlusspunkte braucht. Es gibt inzwischen sogar Rennräder mit elektronischer Schaltung und Drahtlosverbindung zwischen den Komponenten, und nach dem Mobiltelefon, der Quarzuhr und der Digitalkamera kommt nun auch noch das iPad als elektrisches Dauermitdabeiding dazu, wenn man das Haus verlässt. Mehr Steckdosen bedeuten nur, dass mehr Entwickler mehr Geräte mit mehr Kabeln erfinden. Der Prozess ist langsam und schleichend, manche finden es nicht gut, andere, besonders in Japan, Südkorea und im Reichshauptslum Berlin machen einen Digitalen Lebensstil daraus. Dafür baggern die einen in Garzweiler, und die anderen stehen mit dem Löschfahrzeug in Fukushima und fragen sich, wie man eine Anlage, über 400 Meter lang und 100 Meter breit, auf die Schnelle mal eben so zubetoniert, wie man man das in 200 Tagen in Tschernobyl gemacht hat, bei einem Reaktor, der gerade 50 mal 60 Meter gross war.

Seit wann gibt es Strom aus der Steckdose

Ich, das kann ich hier klar sagen, brauche nur begrenzt Strom, um mir einen schönen Tag mit Büchern und Gemälden zu machen. Ich brauche auch keine nachts beleuchteten Reklametafeln mit rotierenden Anzeigen, falls sich jemand Sorge um die Stromversorgung macht. Ich begrüsse jeden Kreisel, der eine Ampel ersetzt. Und der gesamten Energieaufwand der 5 Kilo Prospektmaterial, die ich jede Woche ungelesen wegwerfe, ist ebenso sinnlos wie die abermillionen Gerätschaften im Dauerstandby. Hat man weniger Steckdosen, kauft man weniger elektrischen Müll. Gelegenheit macht Dummheiten. Das hat sich seit dem Rokoko nicht mehr geändert, man muss keine Latzhose tragen und zum Frühstück Müsli essen, um das Problem zu verstehen.

Irgendwo zwischem dem Punkt, da mein Urahn stolz die Steckdosen in die Mitte der Räume hat mörteln lassen, und dem Moment, da einer wie der Mappus die Reaktoren runterfährt, die er gerade für Milliarden gekauft hat – irgendwo zwischen den beiden Zeitpunkten hat sich etwas falsch entwickelt. Ich denke, die Entscheidung von 1910 war durchaus richtig, aber ich halte es für Irrsinn, Menschen in einem Raum 20 Möglichkeiten für 20 strombetriebene Geräte zu geben. Ferner bin ich auch der Meinung, dass jeder, wirklich jeder, der Ebooks das Wort redet, bitteschön nach Fukushima reisen soll, und sich die Sache an der Quelle zu Gemüte zu führen. Strom ist, für sich betrachtet, eine feine Sache. Aber es gehört sich nicht, ihn zu verschwenden, wenn es nicht nötig ist. Die Person, die hier hier die Steckdosen zu einer Zeit hat einbauen lassen, als es enorm teuer und avantgardistisch war, hat dabei an eine Zukunft ohne Kerzen und Feuergefahr gedacht. Nicht an eine Epoche, da man die Umwelt mit brennenden Atomkraftwerken ruiniert, weil es bequem und technisch machbar ist.

Die Nutzung von Strom hat das Leben der Menschen nachhaltig und positiv verändert: Ein Leben ohne elektrisches Licht, E-Herd oder Waschmaschine ist für viele von uns nicht mehr vorstellbar. Dabei war es nicht immer selbstverständlich, dass wir so einfach und sicher wie heute mit Elektrizität umgehen können. Das machten erst bahnbrechende Erfindungen möglich:

Akkumulator: das kleine Kraftwerk

Im vergangenen Jahr erregte eine 18-jährige US-Amerikanerin Aufsehen: Sie entwickelte einen Superkondensator, der künftig das Aufladen von Smartphones in 30 Sekunden ermöglichen könnte. Ob diese Erfindung hält, was sie laut Medienberichten verspricht, wird sich weisen. Fakt ist: Ohne leistungsfähige Akkus geht in unserer multimedialen Welt heute nichts mehr.

Der Grundstein für die wiederaufladbaren Stromspeicher wurde bereits zur Zeit Napoleons gelegt. Im Jahr 1802 baute der deutsche Physiker Johann Wilhelm Ritter eine Vorform des Akkus – die Ritter‘sche Ladungssäule. Mit dem Wachstum der Autoindustrie traten Blei-Akkumulatoren ihren Siegeszug an. Darüber hinaus entwickelten sich zahlreiche weitere Formen. Das Prinzip dahinter: Die Akkus wandeln elektrische in chemische Energie um und speichern diese. Wird ein Verbraucher – zum Beispiel ein Handy – angeschlossen, kehrt sich der Prozess um und der Akku liefert Strom. Auf Youtube findet ihr eine Doku über die Chancen moderner Akkumulatoren.

Ist ein Akku eine Batterie? Ja, denn in unserem Sprachgebrauch umfasst „Batterie“ beides – aufladbare Akkus (Sekundärzellen) und nicht-aufladbare Primärzellen. © Martin Terber/flickr

Steckdose: Kampf dem Kabelsalat

Eine weitere wegweisende Erfindung war die Steckdose. Sie ermöglichte vor rund 100 Jahren erstmals die flächendeckende Versorgung privater Haushalte mit Strom. Der Amerikaner Harvey Hubbell II. meldete 1904 Stecker und Dose als Patent an. Der Strom kommt dabei nicht aus der Dose selbst – sie ist vielmehr eine Steckverbindung zwischen 2 Leitungen.

In den Folgejahren entwickelten sich unterschiedliche Stecksysteme. Um den Wirrwarr einzudämmen, ließ der Deutsche Albert Büttner 1926 das Schuko-System (für: Schutzkontakt) patentieren. Heute ist dieses unter dem Namen CEE 7/4 in den meisten Ländern Europas verbreitet – darunter auch in Österreich. Das wissen viele Urlauberinnen und Urlauber zu schätzen. Die verschiedenen Stecker-Formen haben schon so manche Erholungssuchende in die Verzweiflung gestürzt.

Steckdosen gibt es in allen Farben und Formen. Beim Schuko-System steht eine Spannung zwischen 220 und 240 Volt bei 50 Hertz zur Verfügung. © David Jones/flickr   

FI-Schalter: mit vollem Körpereinsatz 

Dass wir heute Strom so sicher nutzen können, verdanken wir einer weiteren Innovation – dem FI-Schalter. Um zu beweisen, dass sein Fehlerstrom-Schutzschalter funktioniert, wagte der Österreicher Gottfried Biegelmeier Ende der 1950er-Jahre zahlreiche Selbstversuche mit hohen Stromstärken. Sein Mut trug Früchte und rettet bis heute Menschen das Leben. Das Prinzip ist so einfach wie genial: Der Schalter vergleicht die Stärke des ausgehenden mit jener des zurückkehrenden Stromes. Fließt die Energie auf falschem Weg – etwa durch den Körper eines Menschen – schaltet sich der Stromkreis ab.

Seit 1960 wird der FI-Schalter zusätzlich zu Sicherungen im Zählerkasten eingebaut; seit 1980 ist er gesetzlich vorgeschrieben. Die Markteinführung brachte nicht nur Biegelmeiers Dienstgeber Felten & Guilleaume im niederösterreichischen Schrems hohen Gewinn. Der Erfinder selbst wurde vielgeehrt und zu einem weltweit gefragten Spezialisten der Elektropathologie.

Licht aus. Verläuft die Elektrizität über einen falschen Weg, unterbricht der FI-Schalter den Stromkreis. Das rettet im Notfall Leben. © NicestAlan/flickr

Auch heute entwickeln kluge Köpfe innovative Technik, um Strom effizient und sicher zu nutzen. Weitere Beispiele findet ihr im aktuellen flow zum Thema „Chancen“.

Titelbild:  © esperanza277/flickr