Life of pi welche geschichte ist wahr

27. November 2013, 16:57 Uhr

Lesezeit: 1 min

Life of pi welche geschichte ist wahr

Nicht nur im Film ist der Tiger in "Life of Pi" fast ertrunken, auch der echte bengalische Tiger King wurde während der Dreharbeiten in letzter Sekunde aus dem Wasser gerettet.

(Foto: dpa)

Der für den Film "Life of Pi" eingesetzte Tiger King ist während der Dreharbeiten fast ertrunken. Das geht aus einer E-Mail der verantwortlichen Tierschützerin hervor. Sie soll den Vorfall vertuscht haben.

"Am schlimmsten war, dass wir letzte Woche King fast in einem Wasserbecken umgebracht haben": Das beichtete Gina Johnson, verantwortliche Mitarbeiterin der US-Tierschutzorganisation American Humane Association (AHA) am Filmset von "Life of Pi", einem Kollegen in einer E-Mail. Johnson sollte während der Produktion in Taiwan den Umgang mit den Tieren beaufsichtigen. Obwohl sie selbst miterlebte, wie King fast ertrank, meldete sie der AHA den Vorfall nicht.

In ihrer Mail, die das Branchenportal Hollywoodreporter veröffentlichte, beschrieb Johnson das Szenario: Während der Dreharbeiten in einem Wassertank sei der Tiger untergegangen und fast ertrunken. Sein Trainer Thierry Le Portier habe ihn gerade noch mit einem Seil aus dem Wasser ziehen können.

Statt den Vorfall zu melden, wies Johnson ihren Kollegen an, niemandem davon zu erzählen. Dabei ist sie als Mitarbeiterin des Tierschutzvereins AHA eigentlich verantwortlich dafür, Tierquälerei zu melden. Die AHA zertifiziert seit 73 Jahren einen tiergerechten Umgang an Filmsets mit dem Satz "No animals were harmed", also "Keine Tiere kamen zu Schaden". Diese Stellungnahme erscheint üblicherweise am Ende eines Films, so auch im Abspann des mit vier Oscars ausgezeichneten Films "Life of Pi".

Hollywoodreporter zufolge, hatte die Tierschützerin eine Affäre mit einem der Produktionschefs. Das Management der AHA habe erst nach Ende der Dreharbeiten von dem Vorfall erfahren.

Tödliche Stürze am Filmset von "Der Hobbit"

Es ist nicht das erste Mal, dass nach den Dreharbeiten für einen Hollywood-Film Fälle von Tierquälerei öffentlich werden. Im November 2012 warfen vier zuständige Tierpfleger der Produktionsfirma des Kinofilms "Der Hobbit" vor, für den Tod von 27 Tieren am Set verantwortlich zu sein. Pferde, Ziegen, Hühner und ein Schaf hätten sich tödlich verletzt, seien von Hunden angefallen oder falsch ernährt worden.

Regisseur Peter Jackson wies die Vorwürfe damals zurück. Einer seiner Sprecher räumte jedoch ein, dass es Todesfälle gegeben habe und der Tod zweier Pferde hätte verhindert werden können. Insgesamt waren am Set 150 Tiere untergebracht.

Das Buch von Yann Martell hatte ich bereits vor zwei Jahren oder so gelesen, daher war ich neugieirg auf den Film. Heute waren wir drin.

Der Film erzählt die Geschichte von Pi(scine), einem jungen Mann aus Indien. Genauer gesagt: Pi erzählt seine eigene Geschichte Jan (oder Yann?). Pi wächst als Sohn eines Zoobetreibers auf, lernt verschiedene Religionen (Hinduismus, Christentum und Islam) kennen und schätzen und muss sich dabei von seinem Vater anhören, es wäre doch besser, auf die Vernunft zu setzen. Die Familie muss Indien verlassen, weil sich der Betrieb des Zoos nicht mehr lohnt, der Vater verschifft die Tiere und die Familie auf einen Frachter Richtung Kanada, weil er hofft, dort mehr Geld für die Tiere erzielen zu können.

Der Frachter kommt in einen Sturm, sinkt und Pi findet sich mit Zebra, Hyäne, Orang-Utan und Tiger in einem Rettungsboot wieder. Das mit den Tieren hat sich schnell erledigt – übrig bleiben Pi und Mister Parker, der Tiger, der seinen Namen einer Verwechslung verdankt.

Der folgende Überlebenskampf wird in epischen Bildern erzählt. Wunderbare Farben im Meer und im Untergang der Sonne wechseln mit harten, schnellen Schnitten, wenn der Tiger wieder einmal versucht die Oberhand zu gewinnen. Der Film ist in 3D aufgenommen, bis auf ganz wenige Szenen ist hier 3D nicht effekthascherisch, sondern zurückhaltend und die Geschichte unterstützend eingesetzt. Mehr als einmal frage ich mich, wie die das denn gedreht haben mit den Tieren…?!

Pi gelingt es, den Tiger nach und nach in Schach zuhalten, am Ende stranden sie nach einem Zwischenstopp auf einer Insel mit (in der Nacht aktiven) fleischfressenden Pflanzen an der Küste Mexikos und es bricht Pi das Herz, dass der Tiger, sein Gefährte über 277 Tage, ohne sich einmal umzuschauen in den Dschungel entschwindet…

Ich habe es selten erlebt, dass ein Kino von atemloser Stille erfüllt war. So dicht ist die Erzählung, so nah kommt mir Pi und in einigen Einstellungen auch der Tiger. Magisch schlagen manche Einstellungen in den Bann. Beeindruckend sind die Szenen, in denen Pi Gott, dem Barmherzigen dankt für Fische und Wasser, für Gewitter und den Tiger an seiner Seite. Und dabei vermischen sich wie von selbst der Gott der Bibel mit dem Gott Mohammeds und Shiva.

An Land ist die Geschichte nicht vorbei. Im Krankenbett muss Pi zwei Männern der japanischen Reederei des untergegangen Frachters seine Geschichte erzählen. Sie glauben ihm kein Wort und bitten ihn, die „Wahrheit“ zu erzählen. Und Pi erzählt ihnen eine zweite Geschcihte, eine Geschichte der Vernunft oder besser, eine Geschichte der Unmenschlichkeit in einer außergewöhnlichen Lebenssituation. Vier Menschen retten sich in das Boot und fechten einen erbarmungslosen Kampf ums Überleben aus. Am Ende erschlägt Pi im Zorn den Mörder seiner Mutter und treibt allein über den Pazifik. Unschwer erkenne ich als Zuschauer genau wie Jan/Yann in den vier Personen die vier Tiere wieder – wobei Pi und der Tiger sich zu einer Figur verbinden.

Welche Geschichte ist wahr? Welche wollen wir glauben? So könnte man fragen. Aber Pi fragt anders, er fragt Jan/Yann: „Welche Geschichte magst du mehr?“ Was für eine Frage, könnte man meinen. Geht es nicht eher um die Wahrheit als darum, was ich mag? Aber Jan/Yann schmunzelt und sagt: „Die unglaublichere Geschichte ist die mit den Tieren, die mag ich mehr.“ Und Pi antwortet: „So ist es auch mit Gott.“

Ich finde das wunderbar. Die Geschichte, die mich träumen lässt, die mit Farben und Mut und Schönheit erzählt wird, die wird mehr gemocht als die Geschichte der reinen Fakten und der Vernunft. Und vielleicht sind viele der biblischen Erzählungen gleichwie die anderer Religionen Geschichten, die uns träumen lassen und die zwischen den Zeilen, mit Farben und mit Musik, etwas anderes erzählen als die Fakten, das Offensichtliche, das Vor-Augen-Stehende. „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, so lautet ein bekannter Spruch von Antoine de Saint-Exupéry. Es sei denn, man geht ins Kino.

Oscar-Preisträger Ang Lee: "Illusionen sind wahrhaftiger als das Leben"

Foto: 20th Century Fox

SPIEGEL ONLINE: Herr Lee, sind Sie eigentlich Buddhist?

Lee: Nur von hier an aufwärts (zeigt auf den Hals). Meiner Ansicht nach ist Buddhismus jedenfalls das Vernünftigste, wenn es um Religion geht, weil es dabei keinen erschaffenden Gott gibt. Man muss sich dem, was da ist, hingeben, sein eigenes Ego aufgeben. Aber ich bin kein praktizierender Buddhist.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass man keinem lebenden Wesen Schaden zufügen darf, weil es vielleicht wiedergeboren werden könnte?

Lee: Ja, das glaube ich. Trotzdem füge ich manchmal einem Tier Schaden zu, zum Beispiel wenn es ums Überleben geht. Ich glaube, der Wille zum Überleben kommt zuerst. Darum bin ich eben auch nur ein theoretischer Buddhist!

SPIEGEL ONLINE: In "Life of Pi" müssen sich ein Junge und ein Tiger auf einem einsamen Rettungsboot arrangieren. Glauben Sie, dass Tiere menschliche Gefühle verstehen oder nachfühlen können?

Lee: Nicht wirklich. Ich glaube, dass Menschen schlauer sind. Bei unserem Tiger zum Beispiel geht es eher darum, dass wir ihn verstehen, dass wir sein Verhaltensmuster durchschauen, ihn eventuell imitieren. Wir müssen uns den Tieren nähern, nicht andersherum. Buddhismus heißt für mich, dass man alle Wesen gleich behandeln sollte, aus Demut heraus. Und auch, dass man Illusion genauso wichtig nehmen sollte wie die sogenannte Realität, die ja eh nur eine Reflexion der Illusion ist.

SPIEGEL ONLINE: Nehmen Sie Illusionen wirklich ernst?

Lee: Ich bin Filmemacher, klar mache ich das! Ich glaube, dass Illusionen großen Wert haben. Sie ergeben mehr Sinn, machen mehr Spaß - das Leben kann ein totales Chaos sein, aber Illusionen kommen ja aus dem Innersten heraus, man kann sie also organisieren, Geschichten aus ihnen basteln. Sie erscheinen mir sogar oft wahrhaftiger als das richtige Leben.

ANZEIGE

SPIEGEL ONLINE: Apropos wahrhaftig: Lügen gehören auch zu den Illusionen, oder?

Lee: Ja, auf jeden Fall.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie eine ehrliche Person?

Lee: Wäre ich gern. Aber manchmal geht das nicht, weil man ja mit anderen Menschen zusammenleben muss. Und Lügen gehört zu unserem allgemeinen Verhaltenscode nun einmal dazu. Dem füge ich mich. Trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, der Wahrheit immer ins Auge zu schauen, auch wenn sie deprimierend oder brutal ist. Beim Filmemachen versuche ich, so ehrlich wie möglich zu sein. Aber wo hört das auf? Manchmal bringt Wahrheit etwas Schreckliches ans Licht.

ANZEIGE

SPIEGEL ONLINE: In der Buchvorlage von Yann Martel geht es am Ende darum, ob die Geschichte wahr ist oder nicht. Haben Sie je darüber nachgedacht, das für den Film zu ändern?

Lee: Nein, und es war eine echte Herausforderung - nicht für mich, aber für das Studio! Sie ließen sich nur schwer überreden, so viel Geld für ein so vieldeutiges Ende auszugeben. Es hieß immer: Vielleicht kriegt man das hin, dass es zumindest oberflächlich eindeutig aussieht, dass vielleicht nur diejenigen ins Zweifeln kommen, die tiefer darüber nachdenken. Wir müssen doch einen Film machen, den man jedem zeigen kann! Doch es bestand für mich nie ein Zweifel: Dieses Ende, das alles in Frage stellt, ist die Essenz des Stoffs.

ANZEIGE

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie überhaupt von dem Buch gehört?

Lee: Ich habe es vor einigen Jahren gelesen und fand es unglaublich, habe es direkt meiner Frau und meinen Kindern gegeben. Meine professionelle und persönliche Intuition sagte mir aber, dass man daraus keinen Film machen kann. Viel zu teuer, komisches Ende, und der dritte Akt ist kein bisschen kinofreundlich. Es entzaubert ja alles, was man vorher behauptet hat, und so etwas darf man mit dem Kinopublikum nicht machen! Weil die Zuschauer emotional involviert sind und schließlich gerade mit eigenen Augen diese realistischen Bilder gesehen haben. Aber dann bekam ich die Möglichkeit, das in 3D zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Dass der dritte Akt nicht kinofreundlich ist, wurde aber durch den Einsatz von 3D auch nicht anders...

Lee: Stimmt, aber es half trotzdem, vor allem bei der langen Ozean-Sequenz. Außerdem habe ich gehofft, dass die 3-D-unerfahreren Zuschauer durch dieses neue Erlebnis offener gegenüber einer neuen Erzählweise oder eben einer anderen Art von Ende werden. Es ist nicht so sehr die Technik selbst, sondern die Erfahrung, etwas Neues zu erleben.

SPIEGEL ONLINE: Pi stößt während seiner Reise auf eine Insel, die scheinbar Tiere und Menschen verzehrt. Können Sie die Bedeutung der Insel näher erklären?

Lee: Nein, das sollte ich lieber nicht tun. Das müssen Sie sich selbst überlegen! Ich kann nur sagen, dass mein Protagonist, als er auf der Insel ist, Gott ziemlich nahe ist. Ich habe übrigens auch Yann Martel gefragt, was er damit meinte, weil ich es schon im Buch nicht verstanden habe. Er sagte, er habe nur versucht, die Grenzen dessen, was Menschen glauben können, noch zu dehnen: Da schippert einer monatelang in einem Boot über den Ozean, und dann kommt auch noch diese Insel... Ich habe eine Weile aufgehört, das interpretieren zu wollen, und einfach am Drehbuch weitergeschrieben. Ich habe aber eine Menge Theorien dazu,...

SPIEGEL ONLINE: ...die Sie lieber für sich behalten?

Lee: Wenn ich die erkläre, begrenzen sie nur die Vorstellungskraft der Zuschauer. Nur soviel: Nachdem Pi Gott ziemlich nahe war, entscheidet er sich, zu den Menschen zurückzugehen, damit er nicht mehr so allein und verloren ist.

SPIEGEL ONLINE: Ist dieser Film Ihr spirituellster?

Lee: Bestimmt. Für "Life of Pi" habe ich sehr tief in mir selbst gegraben, das war teilweise schmerzhaft, aber auch sehr spirituell, mehr noch als "Lust, Caution", den ich davor gemacht hatte. Fast genauso kräftezehrend und auch ziemlich spirituell war "Tiger & Dragon". Weil der Prozess so anstrengend war, ich so viele Herausforderungen bestehen musste, glaube ich, dass Spiritualität oft mit Schmerz und Kampf einhergeht.

SPIEGEL ONLINE: Durchleben Sie gerade eine spirituelle Phase?

Lee: Kann sein. Man muss zu seiner Spiritualität stehen und zwar ohne Zynismus.

Das Interview führte Jenni Zylka