Show Man darf sich nicht damit aufhalten, Wörter einzeln auf die Goldwaage zu legen. Vielleicht werden Sie sich bei diesem Zitat gefragt haben, ob es nicht eigentlich Worte auf die Goldwaage legen heißen müsse. In diesem Falle wäre die Verwendung von Worte tatsächlich angemessen, dies zeigt auch die Verteilung in den Textkorpora des IDS: Die Redewendung in der Version mit Wörter kommt nur einmal, die mit Worte schon 81 mal vor (Stand: 2007). Woran liegt das? Liegt hier vielleicht ein Bedeutungsunterschied vor? Hier sollen Pluralvarianten vorgestellt werden, bei denen gleichzeitig auch Bedeutungsvarianten vorliegen. Alle gleichbedeutenden Pluralvarianten oder Pluralformen im Allgemeinen werden an anderer Stelle erläutert: Pizze, Pizzas oder Pizzen? — Plural bei Fremdwörtern und Männer, Frauen, Autos, Elche, Becher — Verschiedene Formen der Pluralbildung. Maßangaben, in denen Singulare stehen, wo Plurale zu erwarten sind, werden an dieser Stelle beschrieben: Ein Zentner Kartoffel oder ein Zentner Kartoffeln? — Messangaben und Pluralbildung. 1. Plurale mit verwandten BedeutungenDas Wort hat zwei verschiedene Plurale: Worte und Wörter. Mit der Pluralform Wörter bezieht man sich auf einzelne Wörter, wie sie beispielsweise in einem Wörterbuch stehen. Dort ist es im Begriff, die einheimischen Abschiedswörter 'Servus' und 'Pfüati' zu verdrängen.[Frankfurter Allgemeine, 25.01.2001, Pfüati, Tschüß! Ein Grantler und 5000 Mitstreiter gegen einen preußischen Abschiedsgruß in Bayern] Außerdem verstehen sie Fremdwörter genauso wenig wie er. [die tageszeitung, 18.01.2003, S.12] Demgegenüber bezeichnet die Pluralform Worte zusammenhängende Gruppen von Wörtern, ganze Wortgruppen und zusammenhängende Gedanken. Der scheidende Präsident [...] richtete noch einige ganz persönliche Dankes- und Abschiedsworte an "sein Forum". Daher sprechen wir auch von Wörterbüchern und nicht von Wortebüchern, von Passwörtern und nicht von Passworten, andererseits geben wir Ehrenworte und keine Ehrenwörter und legen eben Worte, jedoch keine Wörter auf die Goldwaage. Bezüglich dieser Unterscheidung scheint es dennoch häufig Unsicherheiten zu geben, es kommt ab und an zu unerwarteten Verwendungen: Dann bekomme ich nur kurze Stichwörter wie etwa 'Leiche ohne Kopf im Park'. Nenne fünf Tiere mit 'K' oder nenne fünf Orte mit 'B' oder nenne fünf Tunworte mit 'S'. In Leserbriefen, Foren und auf Internetseiten melden sich Sprachbeobachter verschiedener Meinungen zu Wort: Zum einen gibt es solche, die einen Unterschied zwischen Worten und Wörtern nicht kennen oder nicht kennen wollen, zum anderen solche, die denen absolut konträr gegenüberstehen und so genannte "Wörter"-Vernichter kritisieren, die angeblich nur noch von Worten sprechen und Begriffe wie Codeworte, Passworte und Fremdworte unter das Volk bringen, obwohl in all diesen Fällen die Pluralform -wörter passend wäre. So pauschal lässt sich die Unterscheidung jedoch nicht handhaben. Ein kritischer Fall zeigt sich beispielsweise beim Plural von Stichwort: Es gibt auch hier beide Pluralformen und je nach Kontext müsste eine der beiden stehen, auch wenn dies nicht immer so gehandhabt wird. Stichwörter gehören beispielsweise in die Liste eines Wörterbuches, Stichworte hingegen notiert man sich, bevor man eine Rede hält. Es gibt aber auch mindestens einen Fall, bei dem die formulierte Regel nicht greift: So heißt es quasi "unlogischer" Weise Sprichwörter anstatt Sprichworte, obwohl es sich dabei ja um ganze Redewendungen handelt. Es ist fraglich, ob bei der Verwendungsweise von -wörter und -worten vielleicht ein Zusammenfall der beiden Bedeutungen im Gange ist, d.h. ob sich beide Plurale zu (stilistischen) Varianten entwickeln. Jedenfalls können bei Wort leicht Unsicherheiten darüber auftreten, welcher Plural angemessen ist. Bei anderen Fällen mit zwei Pluralen ist man sich vielleicht sicherer, was damit zusammenhängen könnte, das einer der beiden Plurale weniger gebräuchlich ist. Beispiele:
Ein ähnlicher Fall scheint bei den Wörtern Denkmal, General und Grabmal vorzuliegen: Denkmäler steht der Form Denkmale gegenüber, Generäle der Form Generale, so auch Grabmäler gegenüber Grabmale. Auch scheint es Unterschiede zwischen Kräne und Krane (zugehörig zum Singular der Kran) und zwischen die Wasser und die Wässer (zugehörig zum Singular das Wasser) zu geben. Sie bestehen wohl darin, dass eines der Wörter fachsprachlich oder im gehobenen Sprachgebrauch verwendet wird. 2. Plurale mit verschiedenen BedeutungenBei dieser zweiten Gruppe handelt es sich um die im Volksmund genannten "Teekesselchen". Diese sind gleichlautende Wörter, die allerdings schon im Singular zwei oder mehrere verschiedene Bedeutungen aufweisen. Sie lassen sich nun noch einmal aufspalten in die Gruppe derer, die mit gleichem Artikelwort gebildet werden, also das gleiche grammatische Geschlecht (Genus) haben, und derer, die verschiedene Artikel besitzen. a) Gleiches GenusEines der Paradebeispiele beim Kinderspiel "Teekesselchen" ist die Bank: Obwohl hier das Artikelwort übereinstimmt, handelt es sich inhaltlich im heutigen Sprachgebrauch jedoch um zwei völlig verschiedene Dinge(Homonymie). Schon im Singular sind sowohl die Bedeutungen 'Sitzmöbel, Handwerkstisch' als auch 'Geldinstitut, Sammelstelle' angelegt, im ersten Falle lautet der Plural Bänke (Parkbänke, Werkbänke, etc.) und im zweiten Banken (Postbanken, Datenbanken, Blutbanken etc.). Hier lassen sich noch weitere Beispiele aufführen.
b) Verschiedene GeneraNun gibt es noch Wörter, die sich schon äußerlich dadurch voneinander abgrenzen, dass sie einen anderen Artikel besitzen. Hier kommt es auch zu unterschiedlichen Bedeutungen. Zu diesem Phänomen, nämlich zu den Bedeutungsunterschieden bei Genusvarianz, gibt es auch noch einen weiteren Artikel: Der Moment und das Moment - Bedeutungsunterschiede bei Genusvarianz. Band beispielsweise kann sogar drei verschiedene Bedeutungen haben: Das Band kann etwas sein, das - grob beschrieben - um Dinge gebunden wird und den Plural Bänder (Haarbänder, Videobänder, Messbänder, Maßbänder etc.) hat, das Band kann allerdings auch eine Bindung, eine enge Beziehung zwischen Menschen bezeichnen, wobei dann die Pluralform Bande gebraucht wird (Familienbande, zarte Bande). Der Band jedoch bezeichnet ein Buch, mehrere Bücher bezeichnet man dann als Bände (Bildbände). Diese Gruppe weist noch eine Vielzahl von weiteren Wörtern auf. Allerdings scheint Band mit seinen drei verschiedenen Pluralformen eine Ausnahme darzustellen:
3. Ein besonderer Fall: der StrahlEinen interessanten Fall stellt das Wort Strahl dar, wie es auch in Komposita, wie Lichtstrahl, Wasserstrahl, Sonnenstrahl, Lampenstrahl oder Röntgenstrahl, vorkommen kann. Die modernen Wörterbücher verweisen meist nur auf eine Pluralform: die Strahlen. Warme Strahlen tauchen die Stadt in goldenes Licht und lassen einen das Frösteln vergessen. [die tageszeitung, 13.02.2003, S.20] Allerdings werden einige Sprecher des Deutschen vielleicht aufhorchen und meinen, es gäbe doch auch den Plural Strahle. Für Strahle finden sich in den Textkorpora des IDS zwar keine Belege, allerdings doch ein paar, im Internet sogar sehr viele für Komposita auf -strahle, wenn auch viel weniger als für den Plural Strahlen. Zielpunkte der kräftigen Wasserstrahle waren entweder ein brennendes Hausdach, ein Ball in einer Art Flipper-Parcours oder die beweglichen Fensterläden einer Fassade. [Mannheimer Morgen, 22.07.2002, Erst Robin Hood, dann Feuerwehrmann] Bio-Peeling, Tiefenbehandlung durch mikrofeine Hochdruck-Wasserstrahle und Auftragen spezieller Pflegeprodukte. [OpenPR - das offene PR-Portal: http://openpr.de/news/93771/Ein-verjuengtes-Gesicht-ohne-Einschnitte.html, Stand vom 14.09.07]Gigantische Wasserstrahle bilden einen abstrakten, sich in ständiger Bewegung befindlichen Hintergrund des Sportpalastes, einem großen, runden Pavillon am Anfang der Ausstellung. [Pressemitteilung zur EUROFLORA 2006: http://www.fiera.ge.it/uploadedFiles/com15_ted.pdf, Stand vom 14.09.07] Hier liegt wohl wieder ein inhaltlicher Unterschied vor: Wasserstrahle beispielsweise sind zählbar, weswegen möglicherweise die Pluralform Strahle genutzt wird, Sonnen- oder Röntgenstrahlen sind dagegen nicht zählbar, und hier ist die Pluralform auf -strahlen gebräuchlich. Ein weiterer inhaltlicher Unterschied besteht hierin: Wasser ist materiell, es besteht aus Teilchen, während Sonnen- und Röntgenstrahlen Energiewellen sind. Obige "Strahlentheorie" hört sich zwar sehr schön an, in der Realität wird sie allerdings nicht konsequent angewandt. Oft ist die Anzahl der Plurale auf -en sehr viel höher, wenn die Zusammensetzungen mit -ung besonders häufig sind, doch scheint auch hier kein grundsätzlicher Zusammenhang zu bestehen. Es gibt auch viele Belege für Lichtstrahle oder Lampenstrahle auf der einen Seite und Wasserstrahlen auf der anderen Seite. Zwei "Lichtstrahle" am Wörgler Himmel waren zu wenig.[Neue Kronen-Zeitung, 18.04.1995, S.48] Bei Fehlsichtigen kann das Auge die Lichtstrahlen nicht mehr so bündeln, dass sie auf der Netzhaut scharf abgebildet werden. [St. Galler Tagblatt, 27.02.1999; Das Auge im Visier der Chirurgen]Lampenstrahle schneiden durch den Qualm, suchend. [die tageszeitung, 14.10.2004, S.24]Zwei Feuerwehrwagen bildeten mit Wasserstrahlen einen Triumphbogen. [Berliner Zeitung, 06.07.2004, S.14] Dabei lässt sich hier sicherlich festhalten, dass zumindest die Pluralform Strahlen nie falsch ist und immer verwendet werden kann. FazitDie so genannten "Teekesselchen", die schon im Singular verschiedenen Dinge bezeichnen, haben oft verschiedene Plurale, etwa Bau - Baue/Bauten. Bei Strahl kann der Plural variieren. Verwendete Literatur: Wegener 2004 Page 2
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Produktnamen wie Nutella (aus englisch nut 'Nuss' und der italienischen Endung -ella) geht es wie Fremdwörtern: Sie müssen erst eingepasst werden in unsere deutsche Sprache. Wie bei den Fremdwörtern sind wir zum Beispiel oft unsicher, welches Genus, welches grammatische Geschlecht, dem Produktnamen zugeschrieben werden soll: Sollen wir der Nutella, die Nutella oder das Nutella sagen? Schauen wir uns dazu die generellen Prinzipien an, nach denen entschieden wird, welches Genus ein Fremdwort bekommt.
Wie an den beiden letzten Beispielen deutlich wird, widersprechen sich die Prinzipien mitunter und es kommt zu Parallelformen wie der Grappa und die Grappa. (Genauer kann man das hier, wissenschaftlich formuliert auch hier nachlesen.) Genauso ist es auch bei Produktnamen, denn die drei Prinzipien, die für Fremdwörter gelten, gelten auch für Produktnamen: Das GestaltprinzipWörter auf -a sind im Deutschen meist feminin: die Pasta, die Pizza, die kleine Lea; daher neigen wir zu die Cola. Bezeichnungen für chemische Stoffe auf -in sind im Deutschen meist neutrum: das Sacharin, das Insulin, das Pektin; daher neigen wir zu das Aspirin: Bis man sich schließlich mit dem Tablett zur Kasse durchgeschlagen hat, ist das Nasi-goreng wieder kalt, dafür war die Cola schon immer warm. Das Unternehmen, das der Welt einst das Aspirin gab, ist an der Börse ein Kopfschmerzkandidat. Aber nicht nur das Gestaltprinzip, auch das Leitwortprinzip bringt uns auf die Cola: Wegen die Limonade sagen wir die Cola. Allerdings assoziieren wir Cola auch mit einem Getränk und sagen deshalb ebensooft: das Cola. Wegen Uhr heißt es die Rolex, wegen die Kamera heißt es die Minox, wegen Mundwasser heißt es das Odol. Wegen die Tablette heißt es die Aspirin. Bei der klassischen Nivea denken wir uns die Creme dazu (http://de.wikipedia.org/wiki/Nivea) und beim Tempo das Taschentuch: dass das Wasser zu kalt, das Cola zu süß, der Iso-Drink zu intensiv, der Tee zu wenig sind. 1908 wurde in Bern eine Schokolade erfunden, die in der Zwischenzeit Weltberühmtheit erlangt hat: die Toblerone. Einzig die Aspirin am nächsten Morgen ist garantiert nicht aus kontrolliert-biologischem Anbau. Florena, die Hautcreme aus Waldheim bei Leipzig - das war die Nivea des Ostens. Für jede Lebenslage und Taschengröße haben wir das richtige Tempo. Die Quelle eines Fremdworts ist die Sprache, aus dem das Wort entlehnt wird; die Quelle eines Produktnamens ist der kreative Hersteller des Produkts. Offenbar mögen einige Hersteller das Genus ihres Produktnamens aber nicht festlegen, so etwa der Hersteller von Nutella: "Der Artikelgebrauch ist im Deutschen strittig. Der Hersteller Ferrero benutzt das Wort Nutella artikellos" (http://de.wikipedia.org/wiki/Nutella); "nutella ist ein im Markenregister eingetragenes Fantasiewort, das in der Regel ohne Artikel verwendet wird. Es bleibt jedem selbst überlassen, welchen Artikel er vor nutella setzt" (http://www.ferrero.de). Bei so viel Freiheit freuen wir uns natürlich und bringen unsere eigene Kompetenz und Phantasie ins Spiel. Wie sagen wir denn nun: Der Nutella, die Nutella oder das Nutella? Zunächst: Wirklich belegbar sind nur die Nutella und das Nutella: ... die diversen Jobs, mit denen sie das Nutella für sich und ihren 11jährigen Arthur verdient ... Bloß den Kaba mit Mangogeschmack und die Nutella für die lieben Kleinen sollten wir nicht vergessen. Der Nutella dagegen gibt es offenbar ausschließlich in den Foren, in denen diskutiert wird, ob denn nun auch der Nutella gesagt werden kann: Im Internet trifft sich auch die Nutella-Fangemeinde. Neben zahlreichen Nutella-Rezepten werden Fragen diskutiert wie: Heisst es "der", "die" oder "das" Nutella? Und weil Nutella jedem gehört, darf auch jeder damit machen, was er will. Nutella ist ein im Markenregister eingetragenes Fantasiewort. Deshalb bleibt es jedem und jeder überlassen, ob er oder sie "der", "die" oder "das" Nutella sagt. So alt wie Nutella dürfte auch der Streit darüber sein, wie es nun richtig heißt: die Nutella, das Nutella oder gar der Nutella? Wem das Übliche nicht wichtig ist, kann nach dem Leitwortprinzip (wegen der Brotaufstrich) auch der Nutella sagen. Page 4
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