Autonomes Fahren Level 3 welche Autos

23.05.2022 —

Der Mercedes Drive Pilot für automatisiertes Fahren der Stufe 3 ist bestellbar. AUTO BILD hat ihn ausprobiert und die Hände vom Lenkrad genommen.

Auto fahren im Stau, das ist ja ein bisschen wie "Tetris" spielen. Man sucht die freien Lücken, bis alle Bahnen voll sind und nichts mehr geht. "Tetris" spielen im Stau, das ist ja verboten, wenn man am Lenkrad sitzt. Ich aber mache das heute im Stau. Obwohl ich am Steuer sitze. Und obwohl mein Mercedes EQS mit 50 km/h im zäh fließenden Autobahnverkehr mitschwimmt.

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Ich spiele "Tetris", dann schreibe ich auf meinem Handy eine Mail, und dann gucke ich einen Film auf YouTube. Alles während der Fahrt. Hab ich ein Rad ab? Nein, ich hab Drive Pilot. Was ich da tue, mag völlig irre klingen. Es ist aber legal. Willkommen auf der nächsten Stufe des selbstfahrenden Autos, genannt: Level 3.

Einfach mal einen Film auf dem Handy gucken oder Tetris spielen – mit dem Drive Pilot für EQS und S-Klasse ist das möglich. Und legal.

Drive Pilot, so heißt Mercedes' System aus Hard- und Software. Die mit dieser Technik ausgerüstete Luxuslimousine hat ein gutes Dutzend Assistenten an Bord: Radarsensoren, Laser, Kamera. Ein zentimetergenaues GPS. Das Auto sieht alles um sich herum. Und im Display erscheinen andere Autos, sogar Radfahrer, Fußgänger. Ich darf hier heute ausprobieren, was seit dem 17. Mai 2022 für Käufer von S-Klasse und EQS zu bestellen ist: die Möglichkeit des hoch automatisierten Fahrens.

Auto mit Augen: In der Front steckt der Lidar-Sensor, ein Laser für eine Umgebung in 3D.

Was moderne Autos an Assistenzsystemen wie ACC oder Spurhalteassistent an Bord haben, ist Level 1. Was Tesla mit seinem Autopiloten macht, ist Level 2. Mercedes ist nun der erste Hersteller, dem Level 3 zertifiziert wurde. Ein Meilenstein des autonomen Fahrens. Denn ab hier geht die Verantwortung des Fahrens auf Auto beziehungsweise Hersteller über.

Entspanntes Dahingleiten: Auch starker Verkehr ist kein Problem für das Mercedes-System.


Ich fahre auf der Berliner Stadtautobahn. Irgendwann meldet das System: Ich bin bereit. Voraussetzungen: Autobahn, gut sichtbare Fahrbahnmarkierungen, Tempo unter 60 km/h. Ein Ton, ein Licht am Lenkrad – es kann losgehen. Ich drücke den Drive-Pilot-Knopf. Das Licht am Lenkrad und im Display wechselt auf Türkisgrün. Ab jetzt fährt das Auto mich. Ich nehme mein Handy, erst vorsichtig, bald voller Vertrauen.

Wenn das Auto sagt, dass ich wieder übernehmen soll, bleiben mir zehn Sekunden. Sonst leitet der Mercedes einen Nothalt ein. Rollt aus, schaltet den Warnblinker an, setzt einen Notruf an. Ich könnte ja bewusstlos sein. Das Auto wird mit Drive Pilot superschlau: Mehr als 400 Fahrmöglichkeiten prüft es ständig. Aber das alles funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen: Autobahn, kein Spurwechsel, kein Regen, nicht nachts, nicht unter vier Grad Außentemperatur. Und keine Baustellen, keine Tunnel oder Unterführungen, die länger als 50 Meter sind.

Mensch am Lenkrad: Wenn der Drive Pilot den Fahrer fordert, hat der zehn Sekunden Zeit zu reagieren.


Wirklich oft und lange wird der Drive Pilot deshalb anfangs nicht im Einsatz sein. Das hat mir die kurze Testfahrt schon gezeigt. Aber für die 5950 (S-Klasse) oder 8841 Euro (EQS) zusätzlich kann man es völlig legal ausprobieren. Es klingt unglaublich: In Europa ist das nur in Deutschland erlaubt (außerdem noch in den USA in Kalifornien und Arizona).

Kein Wunder, dass die Mercedes-Juristen die rechtlichen Voraussetzungen und Folgen genau prüfen. Es geht um exakte Formulierungen. Der Fahrer muss immer "übernahmebereit" und "wahrnehmungsbereit" sein. Er darf also nicht schlafen oder auf die Rückbank klettern. Er darf nicht einmal die Sitzlehne zu weit zurückfahren. Und Mercedes ist sehr vorsichtig: Die Handynutzung beim Drive-Pilot-Einsatz sei in Deutschland "nicht verboten". Der Autobauer muntert aber nicht offensiv dazu auf.

Bei der Haftung ändert sich nichts, der Hersteller haftet bei Systemausfall. Der Fahrer oder Halter haftet, wenn er nicht übernahmebereit war und es zum Unfall kommt. Deshalb wird vom Fahrzeug jeder Moment gespeichert, in dem der Drive Pilot eingeschaltet und wieder deaktiviert wird. Und wie geht es weiter? Die Technik wird sicherlich günstiger werden, sodass sie irgendwann auch in kleineren Klassen bestellbar sein dürfte. Doch bis Level 5, was bedeutet, dass Autos komplett ohne Fahrer und völlig autonom auf allen Straßen unterwegs sind, wird es noch viele Jahre dauern. Manche sagen: Jahrzehnte.

Fazit

Zugegeben: Als ich 2016 Teslas Autopiloten testete, war's spektakulärer. Aber eher Spielkram. Der Drive Pilot von Mercedes ist dagegen ein echter Schritt in Richtung mehr Sicherheit und mehr Komfort. Doch der Weg ist noch weit.

Die teuren Automarken aus Deutschland liefern sich derzeit ein Wettrennen. Doch dieses Mal geht es nicht um Motorleistung oder Energiegehalt der Batterie, sondern um das hochautomatisierte Fahren auf Level 3. Das ist seit dem Sommer 2021 im Prinzip zugelassen, doch der entscheidende Schritt folgt erst Anfang 2023. Dann ist hochautomatisiertes Fahren bis 130 km/h erlaubt. Wie bei der auf 60 km/h limitierten Freigabe wird auch dieses Mal vermutlich Mercedes das erste Angebot machen, doch die direkte Konkurrenz ist dicht dran.

BMW dürfte ein vergleichbares Niveau ab 2023 liefern können, Audi und Porsche ebenfalls rasch folgen. Zudem werden alle Firmen bemüht sein, die enormen Entwicklungskosten breit zu verteilen. Es darf also damit gerechnet werden, dass die nächsten Ausgaben von BMW 5er und Mercedes E-Klasse, die 2023 vorgestellt werden, ebenfalls hochautomatisiert bis 130 km/h fahren können, zumindest aber darauf vorbereitet sind. Anders ausgedrückt: Wo immer es die Elektronikarchitektur der Basis es hergibt, wird das angeboten werden. Trotzdem wird sich die Verbreitung vorerst in gewissen Grenzen halten, denn mit schnell sinkenden Aufpreisen ist angesichts des technischen Aufwandes nicht zu rechnen.

Hochautomatisiertes Fahren auf Level 3 bedeutet zunächst: Der Fahrer darf die Fahrarbeit mit diesem Level 3 vorübergehend komplett abgeben und Nebentätigkeiten erledigen. Mails checken, Zeitung lesen, Brot essen - all das ist künftig erlaubt, sofern er in der Lage ist, das Steuer nach einer Warnung durch das System wieder zu übernehmen. Diese Stufe nennt sich im Fachjargon hochautomatisiertes Fahren, und Deutschland ist das erste Land, in dem das gemacht werden darf. Bislang, also bei bis zu Level 2, ist der Fahrer immer verantwortlich und muss die Assistenzsysteme überwachen.

Level 2, das teilautomatisierte Fahren, bedeutet: Längsführung per adaptivem Tempomaten und Querführung durch Spurmittenführung. Das hat inzwischen sogar der Kleinwagen von Toyota serienmäßig. Level 3 ist eine andere Qualität, und Deutschland ist das erste Land, in dem das tatsächlich möglich sein wird, weil die gesetzliche Grundlage bereits geschaffen wurde.

(Bild: VDA)

Der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte das Gesetzgebungsvorhaben maßgeblich vorangetrieben. Eine Regelung, die das Level-3-Fahren bis 60 km/h ermöglicht, ist seit 18. Juli 2021 in Kraft. Der neue UNECE-Rahmen ab 2023 steigert diese Geschwindigkeit auf 130 km/h. Die Funktion eines Level-3-Systems ist allerdings an bestimmte Auflagen gebunden, die sich in einem Wort zusammenfassen lassen: Autobahn. Oder, wie es in der UNECE-Sprache sinngemäß heißt, Straßen ohne Fußgänger und Radfahrer, deren Richtungsfahrbahnen baulich getrennt sind.

Mercedes hat seit 17. Mai zwei Fahrzeuge im Angebot, die die bisherige Level-3-Fassung bis 60 km/h erfüllen: Die S-Klasse und den EQS. Auf der Autobahn kann sich der Fahrer nach Aktivierung des Drivepilots (EQS: nur mit Fahrassistenzpaket Plus) entspannt zurücklehnen. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat dieses System zertifiziert. Es muss für die Ausweitung des Geschwindigkeitsbereichs auf 130 km/h erneut homologiert werden, hat aber jetzt schon die meisten technischen Voraussetzungen dafür.

Oben Radar, darunter Lidar und ein Frontkamera: Der sensorische Aufwand fürs Fahren nach Level 3 ist nochmals höher. Auch die Rechner im Fahrzeug müssen leistungsstark sein.

(Bild: Mercedes)

Zuvor aber nochmals zur eigentlichen Funktion: Auf Knopfdruck kann der Fahrer in zukünftig legal mit dem Smartphone spielen. Er darf aber nicht auf dem Rücksitz schlafen, weil die Rückübernahme (!) durch ihn einer Karenzfrist möglich sein muss. Die UNECE hat hierfür zehn Sekunden definiert, in denen der Mensch wieder die Kontrolle übernehmen muss.

Mercedes setzt schon vorher eine Warnkaskade in Gang: Erst optisch und akustisch, und nach vier Sekunden gibt es eine haptische Meldung über ein Rütteln am Gurt. Reagiert der Fahrer nicht, wird der risikominimale Zustand hergestellt: Das Auto hält langsam an, die Warnblinkanlage wird eingeschaltet und das Notrufsystem e-Call aktiviert. Noch passiert das in der eigenen Fahrspur, die UNECE-Überarbeitung erlaubt ab 2023 aber auch den Fahrstreifenwechsel.

Stereokamera, Regensensor, Lichtsensor. Das hat eine normale S-Klasse auch. Fürs Fahren mit Level 3 wird unter anderem ein zusätzlicher Feuchtigkeitssensor im Radkasten eingebaut. Bei Nässe oder Gischt kann das System überfordert sein und gibt die Kontrolle an den Fahrer zurück.

(Bild: Mercedes)

Selbst ein Toyota Aygo X in Grundausstattung hat inzwischen einen Radar und eine Kamera serienmäßig, und sehr viele Pkw haben außerdem Ultraschallsensoren. Um aber das Fahren nach Level 3 sicher zu gewährleisten, ist deutlich mehr Sensor- und Rechenleistung als bisher notwendig. Für Level 3 kommt bei Mercedes S-Klasse und EQS ein Lidar dazu.

Eine Heckkamera erkennt, wenn ein Blaulicht kommt. Mercedes S-Klasse und EQS bilden dann eine Rettungsgasse. Das funktioniert schon jetzt bis 60 km/h. Ab 2023 wird diese Grenzgeschwindigkeit auf 130 km/h hochgesetzt. Die Autos müssen vom KBA allerdings erneut und für Level 3 homologiert werden.

(Bild: Mercedes)

Statt elektromagnetischer Wellen wie beim Radar werden Laserstrahlen eingesetzt, um die Umgebung zu scannen. Zudem ist ein hochgenaues Positionierungssystem mit entsprechendem Kartenmaterial erforderlich, das im einstelligen Zentimeterbereich feststellen kann, wo das Fahrzeug exakt ist. Ein Beispiel dafür ist, dass hochautomatisiertes Fahren nur in Deutschland zugelassen ist; an der Staatsgrenze ist also Schluss, und das wird per Software erkannt.

Für die Positionierung sind drei Satelliten notwendig. Eine Grenze des Systems sind zum Beispiel Tunnel. Der Fahrer wird frühzeitig darüber informiert, dass er das Steuer übernehmen muss. Bei schlechtem Wetter wie Nieselregen oder Gischt könnte ebenfalls eine Überforderung des Systems auftreten, dessen Sensoren in jedem Fall redundant ausgelegt sind; es muss also immer eine Rückfallebene vorhanden sein. In den Radkästen der Mercedes-Modelle sind Feuchtigkeitssensoren untergebracht, die Nässe erkennen können.

Das Auto muss immer exakt wissen, wo es ist. Die Positionsantenne hilft bei der zentimetergenauen Verortung.

(Bild: Mercedes)

Wie bisher wird der Hersteller mit einer vorsichtigen Auslegung starten und die Funktionen sukzessive ausweiten. Mercedes S-Klasse und EQS haben auch eine Heckkamera, die Blaulicht erkennt. Die Autos bilden schon in der aktuellen Version eine Rettungsgasse. Die UNECE-Neuregelung sieht außerdem vor, dass alle Vorgaben der UN-Cybersecurity erfüllt sein müssen und dass eine Blackbox eingebaut ist.

Die Anhebung der Grenzgeschwindigkeit beim hochautomatisierten Fahren von 60 auf 130 km/h bedeutet eine neue Qualität für Komfort und Sicherheit. Autobahn? Abschalten! Wie immer kann der Mensch das System jederzeit überstimmen. Der technische Aufwand ist nach heutigen Maßstäben erheblich, aber vor zehn Jahren war es auch kaum vorstellbar, dass ein japanischer Kleinstwagen in Grundausstattung über einen radarbasierten Tempomaten mit Abstandsregelung verfügt. Wie gehabt wird die Verbreitung von Level 3 in der Luxusklasse beginnen und sich in die unteren Segmente fortsetzen.

Dass Deutschland Vorreiter in der Übernahme der UNECE-Regel in nationales Recht ist, ist eine Chance für teure Marken wie Mercedes, BMW, Audi und Porsche. Die Konkurrenz muss nun zeigen, was sie kann. Allen voran Tesla, wo der kostspielige Autopilot mit Full Self Driving (FSD) seinem Namen gerechter werden könnte, falls die Zertifizierung nach Level 3 gelingt.

(mfz)

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